23 November 2016

DIY & ZEN

Back to the roots – zurück zum Handwerk. Viele Menschen entdecken für sich gerade jetzt das Wunder des Handwerkens neu. Do-It-Yourself heißt das Zauberwort, und an vielen Orten wird zusammen gestrickt, genäht, gehäkelt und vieles mehr. Heraus kommen wunderschöne Unikate, die verschenkt, geliebt und bewundert werden können.
Beeindruckende Meister der Handwerkskunst kommen auch aus Japan. Sie beherrschen ihr Handwerk nahezu perfekt und üben es beharrlich und mit unendlicher Geduld aus. So entstehen fantastische Rauminstallationen mit gigantischen Ausmaßen. Vielleicht können solche Künstler nur deshalb aus Japan kommen, weil sie sich dort im ZEN geschult haben.
 
link >>> Chiharu Shiota
link >>> Motoi Yamamoto
 
ZEN in Japan ist weniger eine Glaubensrichtung, sondern vielmehr eine intuitive Lebenseinstellung, die schwer in Worte gefasst werden kann. Annähernd bedeutet ZEN: >>> in der Gegenwart zu leben und diese durch und durch zu erfahren >>> frei von den Ablenkungen und trügerischen Konflikten der materiellen Welt zu sein >>> und sich am grundlegenden Wunder des Lebens selbst zu erfreuen.
Um dieser Geisteshaltung nahezukommen, gibt es handwerkliche Rituale, die mit viel Beharrlichkeit und Hingabe zur Vollkommenheit reifen können: >>> die Kunst des Bogenschießens >>> die Schreibkunst >>> oder die Kunst der Gartengestaltung.
Vollkommenheit hört sich gut an, und so kam die Kunst des ZEN vor ca. 80 Jahren auch bei uns im Westen an. Nur genügten uns die herkömmlichen Ziele aus Japan nicht mehr, sondern wir reicherten sie mit gewinnträchtigeren und lukrativeren Elementen an. So entstanden zahlreiche ZEN-Variationen: von >>> Business-Zen über >>> Therapie-Zen bis zu >>> Wellness-Zen und >>> Street-Zen. Es gibt sogar ein >>> ZEN-DEPOT für ethisch-ökologische Geldanlagen und eine >>> ZEN-Akademie für Führungskräfte, die nachhaltige und kraftvolle Erfolge verspricht.
 
Alle diese ZEN-Angebote haben eines gemeinsam: sie sind unglaublich teuer.
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Seit einigen Monaten begleite ich eine junge Frau, die aus Afghanistan geflohen ist.
Sie ist knapp über 20 Jahre alt, hat vor wenigen Wochen eine Tochter bekommen und
bewohnt mit ihrem Mann einen knapp 12 m2 großen Container in einer Flüchtlingsunterkunft.
Sie hat in Kabul ihr Abitur gemacht und dort angefangen zu studieren.
Musste wegen einer Zwangsverheiratung aus dem Land fliehen und
wurde von Mitgliedern der Familie verfolgt, geschlagen und misshandelt. Sie konnte nur
mit Mühe einem Säureangriff entkommen. Trotz der permanenten Bedrohung
hat sie ihr Studium beendet, als Dolmetscherin gearbeitet und konnte schließlich
über viele Stationen hinweg bis nach Deutschland gelangen. Sie hat alle familiären,
kulturellen und persönlichen Wurzeln komplett verloren, hat einen
ungewissen Aufenthaltsstatus und steht vor dem Nichts. Sie ist zutiefst traumatisiert
und glaubt, dass ihr Leben jetzt zu Ende ist.
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Schade, dass diese hochdotierten westlichen Zen-Meister nicht einfach mal
komplett umsonst und entgegen jedem unternehmerischen Verstand in die Notunterkünfte
kommen können, um die inneren Wogen der dort wohnenden Menschen zu glätten.
 

Ein kleines Mädchen aus Afghanistan malt immer wieder
Schwärme von Menschen mit weit aufgerissenen Augen und Mündern.
 
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Meine blog-Einträge werden mit Zeichnungen von geflüchteten Menschen begleitet,
die in Hamburg angekommen sind. Sie sind auf
Kunstaktionen vor ihren Notunterkünften entstanden.
Es ist mir eine große Ehre, dass ich dabei fotografieren durfte.
DANKE!

16 November 2016

NÄHE & DISTANZ - Das Geheimnis der Vögel

Einen Schwarm von Vögeln oder von Fischen zu beobachten ist nicht nur schön, es birgt in sich auch etwas Beruhigendes, etwas Faszinierendes, etwas Unbegreifliches. Ein scheinbar perfektes Zusammenspiel lädt zum Staunen ein. Die ständig sich verändernden Formationen erscheinen wie ein unlösbares, unsichtbares Geheimnis.

 
Wie funktioniert so ein Schwarm? Die Vögel eines Vogelschwarmes – Stare beispielsweise – orientieren sich zunächst an sieben anderen Vögeln um sich herum. So bilden acht Vögel eine Gruppe, die wiederum mit anderen Gruppen des Schwarms vernetzt sind. Diese vielfältig vernetzten Vogel-Gruppen bewegen sich automatisch und instinktiv nach drei Gesetzmäßigkeiten: Zusammenhalt, Trennung und Ausrichtung.
Das Gesetz des Zusammenhaltens (Kohäsion) besagt: Bewege dich in die Richtung des Mittelpunkts derer, die du in deinem Umfeld siehst. Also, >>> hin zu deinen Nachbarn.
Das Gesetz der Trennung (Separation) meint: Halte einen Mindestabstand ein und bewege dich weg, sobald dir jemand zu nahe kommt. Also, >>> weg von deinem Nachbarn.
Das Gesetz der Ausrichtung heißt: Bewege dich in dieselbe Richtung und mit derselben Geschwindigkeit wie diejenigen in deiner Nähe. Also, >>> parallel zu deinen Nachbarn.
 
 
Ein Schwarm hält demnach ein nahezu perfektes Gleichgewicht zwischen Nähe und Distanz.
Das ist eine Eigenschaft, die uns Menschen leider selten gelingt.
 
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Meine blog-Einträge werden mit Zeichnungen von geflüchteten Menschen begleitet,
die in Hamburg angekommen sind. Sie sind auf
Kunstaktionen vor ihren Notunterkünften entstanden.
Es ist mir eine große Ehre, dass ich dabei fotografieren durfte.
DANKE!
Vogel- und Fischschwärme tauchen immer wieder in den
Zeichnungen von geflüchteten Kindern und Jugendlichen auf.
 

09 November 2016

HEUTE MAL *** ANDERS/ Teil III

HEUTE MAL >>> anfangen

„Nichts ist leichter als Selbstbetrug, denn was ein Mensch wahrhaben möchte, hält er auch für wahr.“ Das sagte der bedeutende griechische Redner Demosthenes schon vor 2500 Jahren. Manchmal kommt mir der Verdacht, dass wir seit dem kaum noch etwas dazu gelernt haben. Alles, was wir heute über uns wissen, das wussten die klugen Köpfe damals im alten Griechenland auch schon.

Demosthenes sagte ebenfalls: „Kleine Gelegenheiten sind häufig der Anfang großer Unternehmen.“ Übersetzt heißt das wohl, dass es gar nicht die großen Ideen, Projekte, Konzepte und Pläne sind, die die Welt verändern, sondern dass es vielmehr die kleinen, oftmals unbeachteten, manchmal alltäglichen Dinge sind, die einen Berg ins Rollen bringen können. Das könnte man ja ausprobieren: wenn ich an „kleine Gelegenheiten“ denke, dann denke ich zum Beispiel an einige junge Frauen, denen ich auf meiner Pilgerreise nach Santiago de Compostela immer wieder begegnet bin. Sie trugen eine kleine Tasche mit bunten Bändern bei sich. Sobald sie in einer Herberge angekommen sind, haben sie sich ein schönes Plätzchen gesucht und angefangen, aus den bunten Bändern farbenfrohe Freundschaftsbänder zu knüpfen – um diese dann auf ihrem weiteren Weg gleich weiter zu verschenken. Seitdem faszinieren mich diese Bänder – auch, wenn ich ihre Knot-und Knüpftechniken nicht verstehe.
Das wäre eine schöne "kleine Gelegenheit" zum HEUTE MAL>>> anfangen: jeden Tag ein Freundschaftsband knüpfen – und das dann gleich weiter verschenken. Ich bin gespannt, welches große Unternehmen aus dieser kleinen Handlung heraus entstehen könnte. „Sich selbst zu überraschen ist, was das Leben lebenswert macht.“ Das sagte der irische Schriftsteller Oscar Wilde vor 50 Jahren.
 
 
Der Anfang ist gemacht. Das erste geknotete Armband
aus Paketschnur, weißen Baumwollfäden und einer Unterlegscheibe ist fertig.
Nun muss es nur noch verschenkt werden.
 
und so ist das Armband entstanden:
 
Video.js | HTML5 Video Player  
 
Heute fängt auch am anderen Ende der Welt etwas Neues an. Und ich hoffe sehr,
das sich die Sorgen und Befürchtungen so vieler Menschen (auch meiner eigenen) nicht bewahrheiten werden.
 
 
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Meine blog-Einträge werden mit Zeichnungen von geflüchteten Menschen begleitet,
die in Hamburg angekommen sind. Sie sind auf
Kunstaktionen vor ihren Notunterkünften entstanden.
Es ist mir eine große Ehre, dass ich dabei fotografieren durfte.
DANKE!
Die Botschaft einer jungen Frau aus Afghanistan.
 

02 November 2016

Die NACKTEN und die TOTEN

Die junge Frau, die ich zurzeit im Hospiz begleite, erzählte mit gestern, dass sie gerne ihren Seelenfrieden finden möchte. Sie glaubt, wenn sie ihren Seelenfrieden gefunden hat, könne sie leichter Abschied nehmen und sterben. Sonst würde ihr Sterben zur Qual werden, weil es etwas gibt, das sie hier festhält.
 
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Gestern war der erste November. In den Tagen um den ersten November herum wird überall auf der Welt der Toten (oder der toten Seelen) gedacht  - manchmal grau und ernst so wie hier bei uns, manchmal aber auch grellbunt, ausgelassen und fröhlich. Diese Tage haben so wundersame Namen wie Allerheiligen, Allerseelen oder  auch Tag der Toten. 
In Mexiko wird genau heute und gerade jetzt eben dieser Tag der Toten, der Día de Muertos gefeiert. Es ist eines der wichtigsten Feiertage dort überhaupt und von der UNESCO zum >>> Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit ernannt. Nach altmexikanischem Glauben kommen die Toten einmal im Jahr zu Besuch aus dem Jenseits und feiern gemeinsam mit den Lebenden ein fröhliches Wiedersehen mit Musik, Tanz und gutem Essen. Der Tag der Toten ist alles andere als trüb und schwermütig. Ganz im Gegenteil, jedes Jahr werden mexikanische Friedhöfe und Hausaltare (ofrendas) mit Geschenken, Essen und Getränken (natürlich Tequila) dekoriert, um die Seelen der Verstorben zurück zur Erde zu locken. Die Seelen finden bei ihrem Besuch auf der Erde also all die Sachen wieder, die ihnen zu Lebzeiten so gut gefallen haben. Auf den Straßen herrscht buntes Treiben. Wohnungen werden prachtvoll mit Blumen, Kerzen und bunten Todessymbolen aller Art dekoriert. Es gibt sogar Totenkopfkekse mit Marzipan und schokoladenüberzogene Zuckerguss-Skelette zum Aufessen. Die lokalen Friedhöfe dienen dabei als Haupt-Austragungsort. Auf den geschmückten Gräbern wird zusammen gegessen, getrunken, musiziert, gesungen und gelacht. .

Alle Dinge sind beseelt.

Thales von Milet
(um 625 - 545 v. Chr.),
griechischer Philosoph und Mathematiker
>>> einer der Sieben Weisen <<<
 
 
 
Genau heute und gerade jetzt startet auch der US-Fotograf Spencer Tunick ein neues Kunstprojekt. Er versammelt zum Tag der Toten und anlässlich des >>> Calaca Festivals in San Miguel 300 nackte Menschen um sich, bekleidet sie mit hauchdünnen, transparenten Stoffen und lässt sie in den trockenen Graslandschaften von Mexiko umhergehen. 


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Es gibt andere Friedhöfe, an denen nicht nur heute, sondern über das ganze Jahr hinweg gespielt, flaniert und ausgeruht wird. Das sind die Friedhöfe im afghanischen Kabul. An den Wochenenden besuchen dort ganze Familien den Kart-e-Sakhi Friedhof. Der Friedhof liegt im Westen Kabuls und gehört zu den größten der Stadt. Er ist eine Oase des Friedens und der Ruhe. Ein Ort, an dem auch Frauen draußen an der frischen Luft sein können, ohne Angst haben zu müssen. Eine Oase des Friedens in einem zutiefst uneinigem Land – ein Ort, an dem man die Seele baumeln lassen kann
 
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Meine blog-Einträge werden mit Zeichnungen von geflüchteten Menschen begleitet,
die in Hamburg angekommen sind. Sie sind auf
Kunstaktionen vor ihren Notunterkünften entstanden.
Es ist mir eine große Ehre, dass ich dabei fotografieren durfte.
DANKE!

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Die Nackten und die Toten ist der 1948 erschienen Debütroman von Norman Tailer. Er schrieb selber dazu: "Der Riesenerfolg des Buches ,Die Nackten und die Toten' warf mich beträchtlich aus der Bahn, und ich verbrachte die darauffolgenden Jahre damit, das Leben zu verschlingen wie ein siegreicher Mann - obwohl ich noch gar kein Mann war und auch gar kein Talent, das Leben zu genießen. Ich war prominent, und ich war leer. Ich mußte das Leben wieder von vorn anfangen."