21 September 2016

MUT ZUR WUT

Der Adler ist seit jeher ein Inbegriff für Freiheit, innere Kraft, konzentrierte Ruhe und zielgerichtete Aggression. Seine Argusaugen beobachten unermüdlich und über weite Entfernung alles bis ins Kleinste. Über die beinahe übersinnlichen Kräfte des Königs der Lüfte gibt es unzählige Geschichten.

So erwählte der Legende nach Zeus, der höchste aller griechischen Götter, den Adler zu seinem Symboltier. In der hinduistischen Kunst ist Garuda, das Reittier des Gottes Visnu, ein Vogelwesen mit Adlerschnabel. Im Christentum ist der Adler ein Kennzeichen des Evangelisten Johannes sowie zahlreicher anderer Heiliger und ein Sinnbild für die Himmelfahrt Christi. Kaiser Karl der Große entdeckt im Jahre 800 den Adler als kaiserliches Wappentier. Damit galt der Adler für Jahrhunderte als Königssymbol und konnte sich bis heute als Staatssymbol durchsetzen. Als Bundesadler ist er im Staatswappen der Bundesrepublik Deutschland zu sehen – und auf den deutschen 1- und 2-Euro-Münzen hat er es auch geschafft.
 
Greifvögel, allen voran der Adler, aber auch Habichte, Falken und Uhus sind tatsächlich höchst aggressiv und vollkommen unsozial. Das einzige, was sie wirklich interessiert, ist es „Beute zu machen“, um selber satt zu werden oder ihre Jungen zu füttern. Sie haben keinerlei gemeinnütziges Interesse. Wenn zwei Habichte sich so nahe wie auf dem unteren Bild kommen würden, würden sie sich in kürzester Zeit gegenseitig zerfleischen.
 
so guckt ein "entspanntes" Habichtsweibchen
 
Wenn man sich Greifvögeln nähert – beispielsweise bei einer Ausbildung zur FalknerIn, wie ich sie gerade mache – muss man sich dieser wütenden Aggression des Vogels stellen und sie „benutzen“ lernen. Wut und Aggression sind unter Menschen Eigenschaften, die nicht toleriert werden. Wut macht vor allem Angst, ist zerstörerisch und kann gewaltiges Unheil anrichten. Derartige Gefühle werden schon im Kindesalter weitgehend tabuisiert und unterdrückt. Auf der anderen Seite wird in politischen, wirtschaftlichen aber auch geistigen und psychischen Bereichen genau diese zielgerichtete Aggression eines Greifvogels eingesetzt, um eigene Interessen in welcher Form auch immer durchsetzen zu können. 
 
"Greifvogel-Geschüh", das der Falkner anlegt, um den Vogel "abzutragen"

Mir kommt der Verdacht, dass Wut und Aggression eine durchaus erlaubte, vielleicht sogar überlebenswichtige Funktion haben könnten - solange sie kontrolliert eingesetzt und ehrlich angesprochen werden. Und dass die von Kindheit an unterdrückte Wut viel mehr Schaden anrichten könnte, als ein gesundes und kultiviertes „Mut zur Wut“.

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Meine blog-Einträge werden mit Zeichnungen von geflüchteten Menschen begleitet,
die in Hamburg angekommen sind. Sie sind auf
Kunstaktionen vor ihren Notunterkünften entstanden.
Es ist mir eine große Ehre, dass ich dabei fotografieren durfte.
DANKE!

Ein etwa 12-jähriger Junge aus Kabul/ Afghanistan 
zeichnet "rauchende" Panzer, die durch seine Heimat ziehen.